‘EmPOWER Girls: Before, during and after crises’ lautetete das Motto des diesjährigen Weltmädchentages 2017. Nicht ohne Grund lenken die Vereinten Nationen den Blick auf die Krisenregionen. In diesem Jahr wird erwartet, dass 128,6 Millionen Menschen aufgrund von Sicherheitsbedrohungen, Klimawandel und Armut humanitäre Hilfe benötigen. Mehr als drei Viertel derer, die Flüchtlinge geworden sind oder aus ihren Häusern vertrieben wurden, sind Frauen und Kinder, die zudem in Krisenzeiten am stärksten gefährdet sind.
Vertriebene und schutzbedürftige Frauen und Mädchen sind mit einem höheren Risiko sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert. „Menschenhandel in humanitären Einrichtungen“ - so beschreibt Alina Potts im UNICEF-blog - „kann viele Formen annehmen, darunter Zwangsprostitution, Zwangsheirat und sexuelle Sklaverei. Es kann oft Väter, Mütter, Ehemänner, Großfamilie, Bekannte und Nachbarn einbeziehen. In einem Kontext allgemeiner Verletzlichkeit - wie z. B. längere Zuflucht in einem überfüllten Zeltlager - gibt es oft Faktoren, die Familien keine lebensfähige Alternative zum Überleben geben, außer Situationen, die im nationalem und internationalem Recht als Ausbeutung und Menschenhandel definiert werden könnten.“
Nach einer Einschätzung von UNWOMAN ist der Anteil der syrischen Flüchtlingsmädchen in Jordanien, die vor dem 18. Lebensjahr verheiratet sind, von weniger als 17 Prozent vor dem Konflikt auf mehr als 50 Prozent gestiegen.
Aber auch jenseits der Notunterkünfte, Flüchtlingslager und Flüchtlingsrouten ist die „Krise“ für viele Mädchen und junge Frauen alltäglich. Zwar haben zwischen 2015 und 2017 neun Staaten entweder das Mindestalter für Ehen angehoben oder bisherige Ausnahmeregelungen aufgehoben. 7,5 Millionen Mädchen weltweit werden dennoch illegal frühverheiratet – so eine neue Studie von Save the Children und der Weltbank - das sind 20.000 an jedem einzelnen Tag. Gründe für die schleppende Umsetzung sind gewohnheitsrechtliche Gründe und religiösen Gesetze, die auf tiefverwurzelten Traditionen basieren.
Neben den oft traumatischen Erlebnissen von Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung sind viele dieser Mädchen stark erhöhten Gesundheitsrisiken aufgrund von Frühschwangerschaften ausgesetzt; zudem werden sie ihrer Bildungs- und Entwicklungschancen beraubt – denn häufig brechen sie die Schule ab.
Insgesamt gehen mehr als 130 Millionen der 1,1 Milliarden Mädchen unter 18 Jahren nicht zur Schule, so eine jüngste Untersuchung der Entwicklungsorganisation One, – mehr als jedes neunte Kind. Dabei steigert jedes zusätzliche Sekundarschuljahr das spätere Einkommen eines Mädchens um bis zu 20 Prozent – berechnete Plan International. Ein Einkommen, das ihrer eigenen Familie zu Gute kommt. Sie wird später und weniger Kinder bekommen, diese werden gesünder und gebildeter aufwachsen.
Mädchen und Frauen darin zu unterstützen, zu Entscheidungsträgerinnen zu werden, ist der Schlüssel zu Veränderung. Dies ist die Kernbotschaft des Weltmädchentags.
Im Jahr 2011 haben die Vereinten Nationen den 11. Oktober zum Internationalen Welt-Mädchentag (International Day of the Girl Child) erklärt und folgten damit der Because I am a Girl-Bewegung, die von Plan International angeführt wurde.
Ziel der globalen Bewegung Because I am a Girl war es in diesem Jahr, 500 der sogenannten Takeover-Aktionen zu organisieren − dieses Ziel wurde weit übertroffen: In mehr als 600 Aktionen in über 60 Ländern wurden und werden Führungspositionen von Mädchen übernommen. So wurden am 11. Oktober beispielsweise alle staatlichen Schulen in Paraguay von Mädchen geleitet und in Nepal waren auf den Radiosendern hunderter Gemeinden die Stimmen von Mädchen zu hören. Mit der Beleuchtung von symbolischen Gebäuden in der Farbe Pink machen sie weltweit auf den Weltmädchentag aufmerksam.
In der ebenfalls pink beleuchteten GIZ-Repräsentanz in Berlin fand am 11. Oktober ein Fachdialog statt: Dr. Heike Kuhn, Referatsleitung 302, Sabine Gürtner, GIZ-Gleichstellungsbeauftragte, Maike Röttger, Vorsitzende der Geschäftsführung Plan International Deutschland e.V. sowie Dr. Georg Kippels, MdB diskutierten gemeinsam mit dem engagierten Publikum die Leitfragen "Wie kommen Mädchen an die Macht? - Was kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für die politische Teilhabe von Mädchen leisten?" Im weltweiten Durchschnitt sind nur etwa 23 Prozent der Parlamentarier*innen Frauen. Frauen stellen nur 11 von 152 gewählten Staatschefs und 11 von 193 Regierungschefs – konstatiert Frau Kuhn. Die Weltgemeinschaft sei also noch weit von dem Ziel entfernt, dass Frauen mit mindestens 30 Prozent in den Parlamenten eine kritische Masse bilden, um Entscheidungen beeinflussen zu können. Nicht nur in der Politik sind Frauen unterpräsentiert, auch in der Justiz, ergänzte Maike Röttger. Der Anteil der Richterinnen an höheren Gerichtshöfen ist sehr gering. Nur jeder Fünfte hat eine weibliche Spitze. Und innerhalb der weltweit größten Unternehmen scheint die „gläserne Decke“ weiterhin für Frauen undurchlässig: Weniger als vier Prozent der CEOs sind weiblich.
Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sind Mädchen- und Frauenrechte sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter eine unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung, erläuterte Kuhn. Dabei verfolgt das BMZ einen dreigleisigen Ansatz aus Gender Mainstreaming, Empowerment von Mädchen und Frauen, sowie Verankerung im entwicklungspolitischen Politikdialog.
Im Anschluss an den Fachdialog veranstaltete die GIZ ein „Gespräch zur Internationalen Zusammenarbeit“ mit Katja Dörner, MdB, stellv. Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen und Lisi Maier, Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings und Maike Röttger, Plan International Deutschland, als Gastrednerin.
„Wenn Frauen nicht nur 50 Prozent der Weltbevölkerung, sondern auch 50 Prozent der Regierungschef stellen würden, hätten wir keine Armut mehr auf der Welt; wir würden in Frieden und in einem guten Ausgleich miteinander leben.“ PLAN fordere für Vorhaben der Mädchen- und Frauenförderung ein größeres Budget: „Wir fordern eine Milliarde Euro für die nächsten fünf Jahre, pro Jahr 200 Millionen Euro.“ Dies sei „ein wichtiger und angemessener Beitrag“, so Röttger.
Faktisch sind im BMZ-Haushalt für 2017 43,1 Mio. Euro für Maßnahmen vorgesehen, die Gleichberechtigung der Geschlechter als Hauptziel haben. Hinzu kommt, dass in fast 70 Prozent aller Maßnahmen der Technischen und Finanziellen Zusammenarbeit die Gleichberechtigung der Geschlechter als Nebenziel genannt ist – der Umfang und Wert dieser Maßnahmen lässt sich derzeit jedoch nicht näher beziffern.
In diesem Zusammenhang verwies Katja Dörner auf die Wichtigkeit des gender budgeting „nicht nur für die inländischen Haushalte, sondern auch für die Entwicklungszusammenarbeit“. Denn „wenn man das einmal für alle Haushalte durchdekliniert, erkennt man Geschlechterungerechtigkeit ganz einfach auch an den nackten Zahlen“.
Doch um valide Aussagen zur spezifischen Förderung von Mädchen und Frauen machen und die richtigen Maßnahmen ergreifen zu können, müsse die Datenlage verbessert werden, so Lisi Maier: „Bislang existiert immer noch keine ordentliche Datenbasis, wenn es um die Frage geht, was junge Mädchen und Frauen wirklich brauchen“. Diese Frage sei sowohl für Deutschland als auch für die internationale Zusammenarbeit von Bedeutung.
Fazit des Nachmittags und des Abends: Girls Lead bedarf des gezielten Engagements aller entscheidenden Akteure der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit, die täglich nicht nur die Interessen und Perspektiven von Mädchen und Frauen berücksichtigen, sondern auch ihre bedeutende Rolle als „agents of change“ anerkennen – und nicht nur am Weltmädchentag, sondern auch an den übrigen 364 Tagen im Jahr!
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Autor: Burkhard Vielhaber | info(at)kinder-und-jugendrechte.de | erstellt im Oktober 2017, unter Berücksichtigung von Quellen der GIZ-Repräsentanz in Berlin, Plan International, u.a.
Die Inhalte dieses Artikels geben die Meinung des Autors und nicht notwendigerweise die der GIZ oder des BMZ wieder.