Geburtenregistrierung ist keine Garantie für die Verwirklichung von Rechten: aber eine wesentliche Voraussetzung für die Geltendmachung und Durchsetzung von menschenrechtlichen Ansprüchen.
Zentrale Voraussetzung hierfür ist ein funktionierendes und frei zugängliches Erfassungssystem.
Nur vollständige Personenstands- und Einwohnermeldedaten ermöglichen eine nationale und lokale Politik- und Finanzplanung. Beispielsweise ist die Planung von Schulen und Lehrkräften abhängig von Erhebungen zu Wohn- oder Aufenthaltsorten sowie den Angaben über die Größe eines Geburtenjahrgangs. Planungen der Kommunal- und Stadtentwicklung sind auf aussagekräftige demographische Daten angewiesen, ebenso wie die Planung des Staatshaushaltes oder von Arbeitsmarktförderungsmaßnahmen.
In Ländern mit einer niedrigen Geburtenregistrierungsrate sind junge Menschen vermehrt vielfältigen Risiken von Rechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören zum Beispiel der fehlende oder unzureichende Zugang zu Recht und sozialer Sicherung. Unvollständige demographische Daten und mangelnde Analysen führen zu unzureichenden Planungsgrundlagen des Staates, erhöhen die Gefahr von Fehlentscheidungen bei der Umsetzung menschenrechtlicher Verpflichtungen und sind Hemmnisse für eine gute Regierungsführung.
In vielen Ländern wird Staatszugehörigkeit durch die Geburtsurkunde verliehen. Staatenlose sind für den Staat nicht existent, können ihre Rechte nicht ausüben und sind von jeglicher politischer und auch wirtschaftlicher Beteiligung ausgeschlossen. Sie haben häufig keinen Zugang zur Justiz, sie haben kein Wahlrecht und sie können keine Ausweisdokumente beantragen.
Geburtenregistrierung ist neben staatlicher Fürsorge und Kontrolle eine wesentliche Voraussetzung für ein funktionierendes Kinderschutzsystem. Ohne Geburtsurkunde sind Kinder ganz besonders Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch sowie Kinderhandel und Kinderarbeit schutzlos ausgeliefert, da sie weder ihr Alter nachweisen noch sich ausweisen können. Offiziell nicht existent, können sie keinen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Die strafrechtliche Verfolgung von Tätern, die Kinder ausbeuterisch arbeiten lassen, sexuell missbrauchen oder misshandeln, ist ohne einen AItersnachweis des Kindes erschwert. Die Verheiratung Minderjähriger kann ohne offiziellen Altersnachweis weder nachgewiesen noch geahndet werden, ebenso wenig besteht eine Eingriffsmöglichkeit bei illegalen (internationalen) Adoptionen. Waisenkinder haben ohne den Verwandtschaftsnachweis kein Recht, das Erbe ihrer Eltern anzutreten.
Kinder, die während bewaffneter Konflikte oder in einer Fluchtsituation geboren werden, werden besonders häufig nicht in ein Register eingetragen. Meist sind gerade in Krisen und Konfliktzeiten Registrierungssysteme nicht (mehr) vorhanden, wodurch zahllose Kinder nicht nur unter den Folgen des Konfliktes bzw. der Katastrophe oder Krise leiden, sondern als Staatenlose keine Möglichkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft haben. Es besteht außerdem kaum eine Möglichkeit, Kinder vor der Rekrutierung durch bewaffnete Gruppierungen oder das Militär zu schützen, wenn ihr Alter nicht nachweisbar ist. Ebenso wenig können die Täter hierfür zur Verantwortung gezogen werden.
Der Nachweis über Alter, Name und Nationalität ist oftmals Voraussetzung für den Zugang zu staatlichen Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsdiensten. ln vielen Fällen, in denen der Schulbesuch auch ohne Geburtsurkunde möglich ist, gilt dies aber nicht für das Ablegen von staatlich anerkannten Prüfungen, die zum Abschluss der Sekundarschule führen. Im Gesundheitsbereich wird nicht-registrierten Kindern häufig der Zugang zu staatlich finanzierten Standardimpfungen und staatlich angebotenen Gratisgesundheitsdienstleistungen verwehrt.
Nicht-registrierten jungen Menschen wird oft der Zugang zu Informationen verwehrt und eine Meinungsäußerung nicht eingeräumt.
In vielen Ländern können Personen ohne Ausweisdokumente nicht heiraten, nicht in andere Länder einreisen, kein Bankkonto eröffnen und keine Sozialversicherungs- oder Steuernummer beantragen. Eine Beschäftigung im formalen Sektor wird in der Folge unmöglich. Gleichzeitig sind Menschen ohne Identitätsnachweis zur Erlangung eines Existenz sichernden Einkommens oftmals gezwungen, gefährliche oder ausbeuterische Beschäftigung anzunehmen ohne die Möglichkeit, ein soziales Sicherungssystem in Anspruch zu nehmen.
Nicht-registrierte Personen übertragen dies auf ihre eigenen Kinder, die bei fehlendem Identitätsnachweis der Eltern ebenfalls nicht staatlich anerkannt werden. Nicht-Registrierung wird somit vererbt.
Aussagekräftige Bevölkerungsstatistiken, die durch ein funktionierendes Einwohnermeldewesen generiert werden, sind ein Indikator, dass ein Staat seiner Verpflichtung, Geburten und andere wichtige Personenstands- und Einwohnerdaten zu registrieren, nachkommt.
Erfolgt keine strukturierte und dezentrale Erfassung, sind aufwendige und kostenintensive, stichprobenartige Datenerhebungen oder Volkszählungen notwendig. Diese Informationen haben eine kurze Halbwertszeit und Hochrechnungen von regionalen Bevölkerungsstatistiken auf ganze Länder sind oft nicht belastbar. Zielgruppen- oder regionenspezifische Aussagen sind auf der Basis nahezu unmöglich. In der Folge bedeutet das oftmals die zusätzliche Vernachlässigung marginalisierter Regionen und diskriminierter Bevölkerungsgruppen wie ethnische und religiöse Minderheiten, Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen. Staatliche Dienstleistungen verfehlen oft ihre Zielgruppe. Die Registrierung der Bürger und Bürgerinnen ist außerdem eine notwendige Voraussetzung für deren Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen, zum Beispiel, an demokratischen Wahlen.
Ein ausreichender Schutz von Kindern auf internationaler Ebene, erfordert aussagekräftige Daten und Informationen. Ein funktionierendes Einwohnermeldewesen oder vergleichbare Erhebungen sind auch geeignet, im Zuge von Katastrophen und Konflikten Familienzusammenführungen und die Identifikation von Opfern besser durchzuführen sowie grenzüberschreitenden Kinderhandel zu erschweren.
Für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) liefern die Daten über Zahl, Struktur und Verteilung der Bevölkerung in Kooperationsländern wichtige Informationen für die Planung von zielgerichteten und wirksamen Programmen. Zielgruppen, insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen, können zuverlässiger identifiziert und erreicht werden.
Demographische Daten sind darüber hinaus eine notwendige Voraussetzung für die Wirkungsmessung der Entwicklungszusammenarbeit, zum Beispiel bei der Überprüfung der Zielerreichung der Globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030.
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Quelle:
Kinder- und Jugendrechte konkret
Informationen zu den Rechten junger Menschen in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit
S. 10ff.
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